Geschichtsvereine planen internationales Projekt zur Zwischenkriegszeit - Workshop zeigt historisches Panorama auf

Am Wochendende vom 10. bis 12. Juni 2020 startete, in Leverkusen unter Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Uwe Richrath, das europäische Projekt "StadtRäume" zur "Zwischenkriegszeit" mit einem dreitägigen Workshop in Bergisch Gladbach Bensberg. Zahlreiche interessierte Wissenschaftler und Interessierte aus dem Rheinland und Europa nahmen an diesem ersten Workshop teil.

In architektonischer Hinsicht war das von Wilhelm Fähler geplante und von 1927 bis 1928 errichtete Gebäude des Carl-Duisberg-Gymnasium ein sehr moderner Bau. Eindruck hinterließen aber auch der imposante Direktorenbalkon und die teilweise schwierige Belüftung der Räume.

Die Zwischenkriegszeit war auch eine Zeit der Wohnungsnot. Mit "Kriegerehrenheimen" wie diesem hier in Küppersteg / Am Neuenhof verschaffte die Stadt Leverkusen zumindest versehrten Veteranen und den Familien von im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten ein adäquates Obdach.

Vor zwei Jahren erregte die Fernsehserie „Babylon Berlin“ große Aufmerksamkeit. Sie ließ das Berlin der 1920er Jahre wiederauferstehen, mit all seinem Reiz, aber auch den politischen Konflikten und dem sozialen Elend. Eine Erkenntnis für viele Zuschauer: Das, was die Menschen damals bewegte, ist uns gar nicht so fremd. Weil das nicht nur für Berlin gilt, sondern auch für das Rheinland, unternimmt der Opladener Geschichtsverein nun gemeinsam mit dem Jülicher Geschichtsverein den Versuch, diese Zeit auch den Menschen in unserer Region aus heimischer Perspektive näherzubringen. Als Startschuss für die Arbeit an dem Projekt „StadtRäume - Europäische Städte als kulturelle Räume in der ‚Zwischenkriegszeit‘“ haben die beiden Vereine am vergangenen Wochenende einen Workshop in der Thomas-Morus-Akademie (Bensberg) veranstaltet.

„Für die Geschichte von Leverkusen ist dieser Zeitraum sehr wichtig“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Hasberg (Köln). Leverkusen entstand als Stadt erst 1930 als Zusammenschluss von Wiesdorf mit den Gemeinden Schlebusch, Steinbüchel und Rheindorf. Ganz so hoch her wie in „Babylon Berlin“ ging es damals zwar nicht, „spannend war die Entwicklung hin zur jungen Stadt und die angrenzender Kommunen wie der damaligen Kreisstadt Opladen aber allemal“, sagt Hasberg.

In mehreren Vorträgen und in lebhafter Diskussion zeichneten die Workshop-Teilnehmer ein vielfältiges Panorama, insbesondere der 1920er Jahre. So skizzierte Prof. Dr. Stefan Goch (Düsseldorf) die Herausforderungen, die sich den zahlreichen, oft binnen weniger Jahrzehnte auf der „grünen Wiese“ emporgeschossenen Industriestädten in der Rheinprovinz stellten. Der damals herrschende Wohnungsmangel und die oftmals noch unzureichende Infrastruktur ließen durchaus Parallelen zu heutigen Verhältnissen erkennen.

In Kunst und Kultur brach sich die Moderne damals endgültig Bahn (Prof. Dr. Gertrude Cepl-Kaufmann, Düsseldorf). In Leverkusen war es der Architekt Wilhelm Fähler, der mit seinen Bauten wie dem ehemaligen Carl-Duisberg-Gymnasium das Gesicht der neuen Stadt prägte und mit der Kleinhaussiedlung „Heidehöhe“ Arbeitern ein Zuhause gab (Jan Sting). In dieser Zeit liegen auch die Anfänge der Leverkusener Musikschule (Ingeborg Rüttermann, Leverkusen).

Interessant auch, wie sich allgemein die Städte im Rheinland in der großen Hyperinflationskrise von 1923 als Krisenmanager an der „Basis“ profilierten. Das lässt an an die anspruchsvollen Aufgaben der Kommunen in der Corona-Krise denken (Prof. Dr. Christoph Nonn, Düsseldorf).

Bei allem Aufbruch blieb manches jedoch auch beim Alten, zumindest auf den ersten Blick: Im ländlichen Lützenkirchen etwa gaben noch immer die altehrwürdigen Vereine den Ton an. Wer hier Teil der Dorfgemeinschaft werden wollte, musste erst einmal Mitglied werden, zum Beispiel im Schützenverein, der 1423 erstmals erwähnt wurde und noch heute besteht. (Stefanie Weyer, Leverkusen).

Zunächst noch in den bekannten Bahnen des Kaiserreichs bewegte sich auch die Kulturarbeit von Bayer. Erst, als die Nationalsozialisten in Deutschland und auch im Rheinland die Macht übernahmen, boten die Kulturmanager des Konzerns den Arbeitern der damaligen I. G. Farben mehr als Chorgesang und klassische Musik. Die neue, „modernere“ Ansprache diente jedoch unverkennbar auch der Beeinflussung im Sinne der nun herrschenden nationalsozialistischen Ideologie (Sophie Spiegler, Leverkusen). Die zahlreichen Arbeitervereine und -organisationen, die in Jahren zuvor das Leben vieler Werksarbeiter geprägt hatten, waren da schon aufgelöst oder gleichgeschaltet worden (Reinhold Braun, Leverkusen).

Ein vielfach beachtetes Großereignis der 1920er Jahre waren indes die „Rheinischen
Jahrtausendfeiern“. Sie sollten 1925 mithilfe eines durchaus waghalsigen Rückgriffs auf das
Frühmittelalter die Zugehörigkeit des Rheinlands zu Deutschland betonen, schließlich war dieses zu
diesem Zeitpunkt noch von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs besetzt. Historische
Ausstellungen und Vorträge, aber auch Festumzüge, Sportwettkämpfe oder Theateraufführungen
lockten damals in vielen Städten und Gemeinden die Menschen in Massen an. Wie sehr sich auch
die Menschen im Raum Leverkusen dafür begeistern ließen, ist noch nicht genau geklärt (Jörn
Wenge, Leverkusen).

Beantwortet wird diese Frage nun vielleicht im weiteren Verlauf des Projekts. Dieses ist auf drei
Jahre angelegt und soll auch eine starke europäische Perspektive entwickeln. Für diese setzte sich
Dr. Markus Prutsch ein, der als Verantwortlicher Wissenschaftler und Forschungsadministrator im
Europäischen Parlament tätig ist. Das war ganz im Sinne der beiden Geschichtsvereine. Neben
Bürgermeister Bernhard Marewksi und Vertretern von Institutionen wie dem Landschaftsverband
Rheinland (LVR) nahmen schließlich auch Gäste aus den Leverkusener Partnerstädten Ratibor
(Oberschlesien/Polen) und Villeneuve d‘Accq (Frankreich) teil. Mit ihnen und Vertretern weiterer
Partnerstädte sollen bei einem weiteren Workshop im Herbst gemeinsam Projekte entwickelt
werden. Auch ein Filmprojekt ist angedacht. Das wird im Ergebnis sicherlich nicht so opulent
werden wie „Babylon Berlin“, soll aber nicht minder aufschlussreich sein.