Als in Opladen die Alleebäume verheizt wurden. Nach Kriegsende stellten sich den demokratischen Politikern vor 75 Jahren enorme Herausforderungen.
Am 8. Mai 1945 kapitulierte die Wehrmacht vor den Westalliierten. Das Datum markiert für den europäischen Kriegsschauplatz das Ende des Zweiten Weltkriegs. Mitunter ist deshalb mit Blick auf den 8. Mai von der „Stunde Null“ die Rede. In Wahrheit war es nicht ganz so einfach. Das hat Michael D. Gutbier, Vorsitzender des Opladener Geschichtsvereins (OGV), am Mittwochabend in einem coronabedingt erst jetzt im evangelischen Gemeindehaus an der Bielertstraße abgehaltenen Vortrag eindrücklich am Beispiel Opladens gezeigt.
Den Tod durch Bomben oder Artilleriebeschuss fürchten mussten die Menschen in der Kreisstadt schließlich schon seit dem Einmarsch der Alliierten am 14./15. April 1945 nicht mehr. Nur wenige Monate vor dem Kriegsende hatten noch zwei Luftangriffe in der Kreisstadt Hunderte Menschen getötet. Den letzten Angriff flogen die Westmächte am 6. März 1945. Die Gefahr aus der Luft war unter alliierter Besatzung gebannt.
Am 23. April setzte der amerikanische Standortkommandant bereits einen Bürgermeister für die Stadt ein. Sein Name: Karl Voos. Der 1893 geborene Verwaltungsfachmann stand wie auch der spätere Bundeskanzler und langjährige Oberbürgermeister von Köln, Konrad Adenauer, auf einer „weißen Liste“. Darin hatten die Amerikaner Deutsche vermerkt, die aus ihrer Sicht vertrauenswürdig waren. Voos war ein konservativer Politiker, der von 1928 bis 1934 in Bergisch-Neukirchen als Bürgermeister amtiert hatte. Er stand vor gewaltigen Herausforderungen, wie Gutbier betonte.
Viele Häuser in der Innenstadt, etwa in der Kölner oder der Rennbaumstraße, waren zerstört oder beschädigt. Weil gleichzeitig vor der Roten Armee geflüchtete Ostdeutschen Quartier suchten, herrschte Wohnungsmangel. Im Krieg hatten die Deutschen lange Zeit verhältnismäßig großzügige Rationen bezogen, während die Bevölkerung vor allem in den besetzen osteuropäischen Gebieten allenfalls mit kargen Rationen versorgt worden war. 1945 aber herrschte auch in den zerstörten Städten Westdeutschlands akuter Versorgungsnotstand. Die Städter behalfen sich mit „Hamsterfahrten“ aufs Land. In Opladen blühte der Schwarzmarkt. Neben Nahrungsmitteln fehlte auch Heizkohle.
Der 9. Mai war indes auch für Opladen ein wichtiger Tag. Während die Wehrmachtsführung in Berlin-Karlshorst vor den sowjetischen Truppen offiziell kapitulierte, berief Bürgermeister Voos einen „Stadt-Ratsausschuss“ zusammen. Acht Personen lud er zur ersten Sitzung ein, darunter verdiente Politiker von SPD und Zentrum sowie lokale Größen wie den Unternehmer Wilhelm Rheinberg, mit Andreas Hollinger aber auch ein Mitglied der Kommunistischen Partei. Dieser breit aufgestellte Ausschuss sollte „zusammenarbeiten im Interesse des notleidenden Gemeinwesens“, wie Voos schrieb.
Dass in der Folge ein Dreier-Ausschuss erfolgreich die Säuberung der Opladener Verwaltung von NS-Belasteten vorantrieb, führt Gutbier auch auf Hollinger zurück. Neben ganz konkreten Maßnahmen, wie etwa der Fällung jedes zweiten Alleebaums zur Brennstoffgewinnung, betrieben die Politiker auch symbolisch Vergangenheitsbewältigung. Straßen wie die Joseph-Goebbels-Straße (Rennbaumstraße) oder die Adolf-Hitler-Straße (Birkenbergstraße) wurden umbenannt, genauso die teilweise nach NS-Akteuren benannten Schulen. Anders als etwa in Köln tilgten die Opladener auch die Namen preußischer Feldherrn wie Blücher oder Scharnhorst aus dem Straßenbild, obwohl sich der Nationalsozialismus nach heutiger Auffassung schwerlich auf deren Wirken zurückführen lässt. Doch vom Militär hatten die Männer um Voos damals allem Anschein nach genug. Der Politiker, befand Gutbier, war eine „spannende Persönlichkeit, die die Geschichte der Stadt in besonderer Weise geprägt und eine Phase des Aufbruchs eingeleitet hat“. Voos amtierte noch bis 1958 unter nunmehr britischer Besatzung in der neuen Rolle des Stadtdirektors. Er starb 1981.