Auf den Spuren der Zwischenkriegszeit im Rheinland und Europa

Für den Juli 2020 ist ein Workshop fest geplant, der die rheinische Stadtkultur in der „Zwischenkriegszeit“ beleuchten und hoffentlich ein Netzwerk initiieren wird, das sich in den nächsten drei Jahren dieser Thematik widmen wird. Ein anderer Workshop, mit dem im April 2020 der Auftakt für das internationale Projekt SEiZiE (Stadtentwicklung in der „Zwischenkriegszeit“ in Europa) gemacht werden sollte, wird nun unter großer internationaler Beteiligung Ende Oktober / Anfang November 2020 wieder in der bewährten Kooperation mit der Thomas-Morus-Akademie in Bergisch-Gladbach Bensberg stattfinden.

So wie auf Kriege Kriege folgen! Das ist im Umfeld der Debatten um den Ersten Weltkrieg in den letzten Jahren viel diskutiert worden. Bis hin zu den Überlegungen des Tübinger Neuzeitlers D. Langewiesche, der 2019 in einem viel beachteten Buch danach fragte, ob die Kriege im modernen Europa nicht geradezu als „gewaltsame Lehrer“ zu betrachten seine,  ob also die Kriege – vor allem die des 19. und 20. Jahrhunderts – Europa nicht soweit verändert hätten, dass es quasi keine Alternative mehr zum Frieden gäbe. Das eröffnet eine hoffnungsfrohe Sicht auf die Zukunft. Aber mit G. W. F. Hegel muss man dem entgegen halten, dass die einzige Einsicht, welche die Menschen je aus der Geschichte gelernt haben, jene sei, dass sie niemals aus ihr gelernt hätten.

Für die „Zwischenkriegszeit“, der sich die neuen Projekte des OGV zuwenden, scheint das zu stimmen. Schließlich wurde in Europa gerade einmal 20 Jahre nach dem ersten der Zweite Weltkrieg entfacht, und zwar von Menschen, denen die Greuel des Ersten Weltkrieges noch deutlich vor Augen standen. Dass sie allerdings einen Zweiten Weltkrieg vom Zaun brachen, war den meisten Beteiligten ebenso unbewusst wie der Umstand, dass sie von 1918-1939 in einer „Zwischenkriegszeit“ gelebt hatten. Erst aus der Retrospektive heraus erscheint uns dieser Zeitabschnitt – und auch nur für Mitteleuropa – als eine friedlose Zeit zwischen zwei Kriegen. Das aber trifft zum einen nicht für alle europäischen Staaten zu, wie allein der Abessinienkrieg dokumentiert, den Italien 1935 vom Zaune brach. Und zum anderen gestaltete sich das Leben in den unterschiedlichen Ländern in dieser Phase keineswegs gleichförmig. Das soll in den neuen Projekten des OGV  untersucht werden. Den ebenso wenig wie es ein Kriegsende gab, gab es eine Zwischenkriegszeit! Und vor allem: das Leben im Alltag wie auch in der Politik gestaltet sich keineswegs als ein solches zwischen den Kriegen, weil zwar die Gefahr eines kommenden Kriegs nach 1919 nicht gebannt, aber sein Kommen auch keineswegs gewiss war. Als „Zwischenkriegszeit“ erscheinen die Jahre zwischen 1918-1939 erst den Nachgebornen!

Gleichwohl, oder eben deshalb hat der OGV im Rahmen seines langfristig anberaumten Bemühens um eine neue Stadtgeschichte (>LEV<  Leverkusen - Stadtgeschichte mit Zukunft) sich in mehreren Teilprojekten der „Zwischenkriegszeit“ zugewandt. Damit wird unmittelbar an die Kriegsenden anknüpft, bei deren Finissage die teilnehmenden Geschichtsvereine der Partnerstädte den Wunsch geäußert hatten, die Kooperation fortzusetzen und sich dabei eben dieses Zeitraumes anzunehmen. Grund dafür waren unter anderem ähnliche Entwicklungen in Ratibor und Leverkusen während dieser Jahre. Und so ließen sich auch mit den anderen Partnerstädten Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten in der städtischen Entwicklung zwischen 1918-1939 ausmachen, die es geboten erscheinen ließen, diesem Wunsch zu folgen und zu erkunden, inwieweit die Rede von der „Zwischenkriegszeit“ überhaupt angebracht erscheint; zumal sie in der Wissenschaft längst ad acta gelegt worden ist. „Stadtentwicklung in der ‚Zwischenkriegszeit’ in Europa“ (SEiZiE) ist der Titel, der für dieses Projekt schnell gewählt war, weil mit ihm all das erfasst wird, was erforscht werden soll. Rasch aber stellte sich auch  heraus, dass „Stadtentwicklung“ allzu leicht das Missverständnis heraufbeschwört, es solle sich ausschließlich oder vornehmlich um die städtebauliche Entwicklung handeln. Das eben ist nicht der Fall. Vielmehr geht es darum, wie die Städte in ihrem äußeren Erscheinungsbild, das heißt der architektonischen und topographischen Struktur, aber auch in ihrer Infrastruktur und (politischen) Verwaltung, Einfluss auf die Kultur in der Stadt und das Bewusstsein der Stadtbevölkerung genommen hatten. Deshalb wurde der Begriff der StadtRäume (StaR) geprägt, der kenntlich machen soll, dass sich Stadtraum und Stadtkultur gegenseitig beeinflussen. Das also soll erforscht werden, und zwar im rheinischen als auch im europäischen Kontext, in dem dann freilich die englisch Übersetzung aus den StadtRäumen Urban Spaces (UrbS) macht. Der Vorbereitung dieser beiden Kooperationsprojekte dienen die beiden Workshops im Kardinal Schulte-Haus in Bensberg: zunächst der Initiierung eines rheinischen Forschungsnetzwerkes zur „Zwischenkriegszeit“ im Juli (StadtRäume – Kulturgeschichtliche Annäherungen an die ‚Zwischenkriegszeit‘ im Rheinland und Europa), und dann der Fundierung eines europäischen Netzwerkes zur „Zwischenkriegszeit“ im Oktober 2020 (Europäische Stadtentwicklung in der Zwischenkriegszeit (1918-1939)), das bereits feste Formen angenommen und weitere Kooperationspartner angezogen hat, die sich von 2021 an der gemeinsamen Erforschung des alltäglichen Lebens in acht europäischen Städten (Bracknell, Jülich, Leverkusen, Ljubljana, Oulu, Ratibor, Schwedt, Villeneuve d’Ascq) widmen wird. Dabei werden die Ergebnisse nicht nur in Ausstellungen und Publikationen einfließen, sondern vor allem in einen Filmbaukasten, der aus vielen einzelnen Filmclips bestehen wird, die in unterschiedlicher Weise zusammengesetzt und in der historisch-politischen Bildungsarbeit überall in Europa eingesetzt werden kann. Mit seiner Hilfe kann dann die „Zwischenkriegszeit“ nicht nur vermittelt, sondern zugleich problematisiert und das historische Bewusstsein weiter Kreise befruchtet werden, und zwar auch online!

Das aber wird 2023, wenn die einzelnen Projekte zu einem ersten Abschluss gelangen sollen, zwar möglich, aber – wenn sich die Coronakrise hoffentlich endgültig verflüchtigt hat – nicht mehr nötig sein! Gut wenn das, was nicht nötig ist, dennoch möglich ist!