Historischer Beitrag: Der Opladener Landrat und der „Erbauer“ des Leverkusener Werks. Zu einem bislang unveröffentlichten Briefwechsel

Es ist immer wieder erstaunlich, auf was für interessante Quellen man bei der Recherche über Themen der Stadtgeschichte Leverkusens stoßen kann. Das jüngste Beispiel stammt aus den Recherchen, die Dr. Wolfgang Schartau für seine umfangreichen Beiträge für die im Februar 2019 erschienene Publikation „Kriegsenden in europäischen Heimaten“ im Archiv der Bayer AG durchgeführt hatte. Der OGV hat vor, voraussichtlich im Jahr 2021 eine Edition aller Briefe zwischen Adolf Lucas und Carl Duisberg in der Reihe Montanus (Schriftenreihe zur Lokal- und Regionalgeschichte in Leverkusen) zu veröffentlichen.

Es ist immer wieder erstaunlich, auf was für interessante Quellen man bei der Recherche über Themen der Stadtgeschichte Leverkusens stoßen kann. Das jüngste Beispiel stammt aus den Recherchen, die Dr. Wolfgang Schartau für seine umfangreichen Beiträge für die im Februar 2019 erschienene Publikation „Kriegsenden in europäischen Heimaten“ im Archiv der Bayer AG durchgeführt hatte. Der leider inzwischen verstorbene promovierte Chemiker, der langjährig in leitender Position bei der Bayer AG tätig war, beschäftigte sich bei seinen Recherchen mit dem ab 1914 in Opladen ansässigen Landrat des Kreises Solingen, Adolf Lucas (s. Abb. 1), und dabei besonders mit dessen Beziehungen zu den Farbenfabriken Bayer in der Zeit des Ersten Weltkriegs. Hierbei war vor allem die Frage interessant, inwiefern Lucas mit Carl Duisberg (s. Abb. 2), ab 1912 Generaldirektor der Farbenfabriken und „Erbauer“ des Leverkusener Bayerwerks, korrespondierte.

Schartau fand bei seinen Recherchen im Bayer-Archiv heraus, dass es einen erhaltenen Briefwechsel zwischen Duisberg und Lucas gibt, der mit einer Postkarte von Lucas an Duisberg von Mai 1912 beginnt und mit einem Brief von Duisberg an Lucas von Januar 1935, also aus dem Todesjahr Duisbergs, endet. Dieser Briefwechsel, der aus knapp 50 einzelnen Briefen besteht, ist von der Forschung bislang nahezu unberücksichtigt geblieben. Die Edition der Briefe von Carl Duisberg, die Kordula Kühlem 2012 publizierte, enthält nur einen Brief von Duisberg an Lucas aus dem Jahr 1931. Werner Plumpe zitiert in seiner 2016 erschienenen Duisberg-Biographie lediglich zwei Briefe Duisbergs an Lucas aus dem Jahr 1913. Alle anderen Briefe sind bislang unpubliziert.

Der OGV hat vor, voraussichtlich im Jahr 2021 eine Edition aller Briefe zwischen Adolf Lucas und Carl Duisberg in der Reihe Montanus (Schriftenreihe zur Lokal- und Regionalgeschichte in Leverkusen) zu veröffentlichen. Wolfgang Schartau, dem der OGV in einem Nachruf im kommenden OGV-Kurier noch einmal gesondert gedenkt, regte eine solche Briefedition als eigenständige Publikation selbst an und war bis zu seinem Tod an dem Fortschritt der Arbeiten, die sich zunächst auf die Transkription der Lucas-Briefe konzentrierten, interessiert. Inhaltlich umfassen die Briefe mehre Themen, privat-familiäre, politisch-wirtschaftliche, mitunter aber auch solche, die den Landkreis Solingen bzw. die Farbenfabriken Bayer betreffen. Die Briefe haben häufig „Small Talk“-Charakter, ohne weitreichende politische Relevanz, sind aber biografisch bisweilen sehr aufschlussreich. Zudem besteht der besondere Reiz in einer Veröffentlichung der Briefedition darin, dass – auch im Zusammenhang mit dem sich langsam nähernden 50. Jahrestag der kommunalen Neugliederung von 1975 – die Korrespondenz eines berühmten „Opladeners“ mit einem berühmten „Leverkusener“ an das Licht der Öffentlichkeit kommt. Für lokal- und regionalgeschichtlich Interessierte dürfte dieser Briefwechsel also neue Einblicke durch die Präsentation von Originalquellen versprechen.

Im Folgenden wurden zwei Briefe aus dem Jahr 1933 ausgewählt, die einen Vorgeschmack auf die geplante Publikation liefern sollen. Der erste Brief stammt von Landrat Dr. Adolf Lucas und ist, wie fast alle Briefe von Lucas, handschriftlich geschrieben (s. Abb. 3+4). Lucas gratuliert Duisberg zu seinem 50-jährigen Dienstjubiläum bei den Farbenfabriken Bayer und geht dabei auf die Biographie Duisbergs und auf gemeinsame Erlebnisse ein. So enthält sein Brief die Information, dass sich Lucas und Duisberg schon kannten, bevor sie geschäftlich als Landrat bzw. Industrieller miteinander zu tun hatten. Aus dem Brief geht der Respekt vor der Lebensleistung Duisbergs, den Lucas den „Spiritus rector der Farben“ nennt, deutlich hervor. Im Jahr der Machtergreifung Hitlers verfasst, enthält der Brief am Ende auch eine eindeutige, bejahende Bemerkung zur aktuellen politischen Lage. Nachfolgend die wörtliche Transkription des Briefes von Lucas vom 21. September 1933:

Bonn, den 21.9.33

Sehr verehrter Herr Geheimrat Duisberg,

Soeben werde ich durch das Erscheinen Ihrer Lebenserinnerungen darauf aufmerksam, daß Sie am 29/9 das im wirtschaftlichen Leben so seltene, vielleicht sogar einzige 50jährige Jubiläum als Spiritus rector der Farben begehen. Um nicht ganz im Schwarm der Gratulanten unterzugehen, sende ich Ihnen heute schon, gleichzeitig im Namen meiner Frau, die herzlichsten Glückwünsche zu Ihrem Ehrentage. Vermutlich werden Sie ihn in derselben Frische begehen und überstehen, die Ihnen nun einmal angeboren und in so fabelhafter Weise erhalten geblieben ist. Den größten Teil Ihres arbeits- und erfolgreichen Wirkens habe ich ja aus nächster Nähe mit erlebt und durchlebt, zuerst nur als Ihr engerer Landsmann in Elberfeld […] – dann aber als Ihr zuständiger Landrat, der Jahrzehnte lang Ihren und der Farben glänzenden Aufstieg sehen, greifen und genießen konnte: der war wahrhaftig für den Kreis kein Pappenstiel. Sein Ansehen und seine guten Finanzen waren eng verknüpft

[Seitenumbruch]

mit Ihrer gewaltigen und genialen Schöpfung in Leverkusen. Ich will Ihnen keine lange Geschichte schreiben. Ich könnte es schon aus Kriegs- und Friedenszeiten. Sie dürfen aber gewiß sein, daß sich wenige mit mehr Behagen in Ihre Lebenserinnerungen vertiefen und ihres Verfassers mit mehr innerer Anteilnahme gedenken werden, als ihr früherer Kamerad und Landrat, der nur wünscht, daß all den Jahren intensivster Arbeit für Wirtschaft, Volk und Vaterland auch noch solche olympischer Ruhe – nicht ohne gelegentliche Ausbrüche in das verwirrte Getriebe der Jetzt-Zeit – an der Seite Ihrer alle Wogen und Runzeln fürsorglich glättenden Gattin folgen mögen und das recht viele. Also Heil und Sieg für Sie, Ihr Werk und das Vaterland mit seinem Führer! Denn geführt muß werden – das war auch Ihre Devise.

            Mit freundlichen Grüßen von Haus zu Haus

                        Ihr ergebenster

                                   Lucas

Carl Duisberg antwortete Lucas knapp einen Monat später, sein Brief liegt in einer Abschrift in Druckschrift vor (s. Abb. 5). Duisberg diktierte seine Briefe in der Regel und ließ Abschriften für die eigenen Unterlagen anfertigen, sodass hier keine Transkription nötig ist.

Wie aus dem Lucas-Brief hervorgeht, beging Duisberg sein goldenes Geschäftsjubiläum bei Bayer am 29. September 1933. Lucas entnahm diese Information, wie er selbst schreibt, den „Lebenserinnerungen“, ein Buch, das im gleichen Jahr von Duisberg, oder besser gesagt: im Namen Duisbergs veröffentlicht wurde. Tatsächlich war es Duisberg sehr daran gelegen, dass dieses von einem Ghostwriter verfasste Buch rechtzeitig zu Duisbergs Jubiläum fertig wurde. Duisberg nahm es hin, dass das Buch aufgrund des Zeitdrucks in einer stark gekürzten Fassung erschien, deren Text Duisberg selbst teilweise gar nicht kannte. Insofern ist es interessant, dass Duisberg in seiner Antwort an Lucas nicht etwa von „seinen“ Memoiren schreibt, sondern lediglich vom „Buch über meine Lebenserinnerungen“, was man als nüchterne, fast schon distanzierte Einstellung gegenüber dem Buch interpretieren kann.

Der Brief verrät am Ende auch etwas über Duisbergs politische Einstellung. Duisberg bestätigt die von Lucas geäußerte Zustimmung zum Hitler-Regime und beschreibt sich als unbedingter Anhänger des Führerprinzips, das er selbst in seinem Berufsleben immer vorgelebt und dies auch von seinen Mitarbeitern verlangt habe. Als habe er sie schon länger herbeigesehnt, wünscht er der Hitler-Regierung, dass sie Deutschland von „Schmach und Schuld“ befreien und in eine „neue Zukunft“ führen möge. Insgesamt ist der Brief ein gutes Beispiel dafür, wie in den Briefen zwischen Duisberg und Lucas Inhalte privater Natur und politische Anspielungen sowie offene politische Äußerungen nah nebeneinander stehen.