Historischer Beitrag: Rote Rüben galten als Wundermittel, Aspirin geriet in Verdacht
Die Spanische Grippe gilt als wohl tödlichste Pandemie der Menschheitsgeschichte und war verbunden mit Desinformation und Gerüchten, die auch an Rhein und Wupper ihre Spuren hinterließen.
Es gibt derzeit kaum ein Thema, das nicht mit der Corona-Pandemie zu tun hat. Pandemie bezeichnet die Länder- und Kontinentalübergreifende Ausbreitung einer Krankheit beim Menschen. Von eine Epidemie sprechen wir beim Ausbruch einer ansteckenden Krankheit, die sich schnell und extensiv ausbreitet und viele Individuen gleichzeitig in einem Gebiet oder einer Population trifft. Im Unterschied zur Epidemie ist eine Pandemie örtlich nicht beschränkt. Es kann aber auch bei Pandemien Gebiete geben, die nicht von der Krankheit betroffen werden.
Die wohl die tödlichste Pandemie der Menschheitsgeschichte war die Spanische Grippe, die mit dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 einherging. Sie forderte geschätzte 25 bis 50 Millionen Todesopfer. Dass die Zahlen so schwammig sind, liegt an der Kriegszensur. Manche Länder veröffentlichten gar keine Zahlen. Erst gegen Ende der 1990er Jahre begannen Historiker, sich mit der Spanischen Grippe zu beschäftigen, die im Vergleich zu den Kriegsgeschehnissen im kollektiven Gedächtnis kaum noch präsent war. 17 Millionen Menschen starben Schätzungen zufolge durch den Krieg.
Laura Spinney, die 2018 ein Buch über die Spanische Grippe veröffentlicht hat und darüber forschte, wie sie die Gesellschaft veränderte, erklärte in einer Ausgabe des Spiegel-Magazins im April, dass die damalige Pandemie aus dem kollektiven Erinnern aber offenbar „nie völlig verschwunden“ gewesen sei. Das zeige sich jetzt, da man sich während der Coronakrise so sehr an den Vergleich zur Spanischen Grippe klammere. Ihr Buch „1918 - Die Welt im Fieber“ fand zuerst wenige Beachtung. Jetzt gibt die Britin, die als Wissenschaftsjournalistin in Paris arbeitet und lebt, zahlreiche Online-Interviews. (Unsichtbarer Bösewicht, in: Der Spiegel, 11.4.2020)
Ihre These, warum die Pandemie anders als Kriegs- oder Naturkatastrophen erinnert werden, fußt auf der schlechten Erzählbarkeit. Die Seuche beginne schleichend, sei dann auf einmal überall. Sie ende nicht abrupt, sondern fasere aus. Es gebe keinen wirklichen Schuldigen und auch kein Motiv. Der Medizinhistoriker Harald Salfellner wiederum erklärte jetzt in einem Interview im Kölner Stadt-Anzeiger, dass er durch Franz Kafka auf die Grippe aufmerksam geworden sei. Jemand habe ihn nach den Hintergründen dessen Grippe-Erkrankung 1918 gefragt. Dann habe er geforscht.
Salfellner erklärt die Tatsache, dass die Spanische Grippe vielfach in Vergessenheit geriet, damit, dass das Sterben, das Massensterben damals allgegenwärtig war. Der Umgang mit dem Tod sei ein anderer gewesen. „Es ist auch im Spiegel der damaligen Medien zu sehen. Selbst auf dem Höhepunkt der Epidemie, als die Leichenwagen unablässig durch die Straßen rumpelten, ging es über eine Zeitungsspalte selten hinaus. Und Bilder gab es überhaupt keine.“ Die Spanische Grippe sei in eine Zeit der Auflösung und Anarchie gefallen. (Man hat seitdem nicht viel gelernt, in: Kölner Stadt-anzeiger 1.4.2020)
Auch jetzt erleben wir Konfusion und Schuldzuweisung, die Vermutungen woher Corona kommt, treiben bunte Blüten. Die Spanischen Grippe jedenfalls kam nicht aus Spanien, jedes Land hatte einen anderen Namen für die Influenza. Die Ursprünge werden in einem Militärlager im US-Bundesstaat Kansas vermutet. Lagerseuchen gab es in der Geschichte immer wieder. So trauerte beispielsweise der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm (Der Große Kurfürst) aus dem Hause Hohenzollern über seinen geliebten ältesten Sohn Karl Emil, der Ende 1674 in Straßburg einer Lagerseuche erlegen war. (Peter Mast, die Hohenzollern in Lebensbildern, Graz, Wien, Köln 1988, S. 68.)
Auch 1918 gab es Gesundheitstipps in der Opladener Zeitung
Die vermeintlichen Wundermittel gegen die Seuchen reichen von Rote Beete gegen die Spanische Grippe, Quecksilber gegen Syphilis oder Tabak gegen die Cholera. Am 24. Oktober 1918 gab auch die „Opladener Zeitung“ ihren Lesern den Ratschlag des Dr. Joseph Häusle in Feldkirch weiter, der als hervorragender Kenner der Naturheilkunde gelte: Rote Rüben seien ein gutes Mittel gegen die Krankheit. Als Ursachen der Spanischen Grippe wurden landauf, landab der Umgang mit alten Büchern, unsaubere Pyjamas, zu leichte Kleidung oder geschlossene Fenster genannt.
Heinz Schrenk hat für die Arbeitsgemeinschaft Genealogie und Geschichte Leverkusen in den Aufsätzen zur deutschen Geschichte 2018 in Bad 1 über die Spanische Grippe zum Kriegsende an Rhein und Wupper geforscht. „Die Presse“, so Schrenk, lieferte damals in der Region Informationen auf „nie gekanntem Niveau“. Er nennt die Opladener Zeitung, die Bergische Arbeiterstimme aus Solingen und im Kölner Raum den Stadt-Anzeiger zur Kölnischen Zeitung, das Kölner Tageblatt, die Kölnische Volkszeitung oder den Kölner Lokalanzeiger.
Durch das Belagerungsgesetz seien aber die Möglichkeiten, die Bevölkerung zu informieren, sehr eingeschränkt gewesen. „Die militärischen Zensurbehörden ließen generell alle Texte entfernen, die für die eigene Sache schädlich sein konnten.“ Folglich habe es Raum für Spekulationen gegeben. Auch das von der Firma Bayer hergestellte Medikament Aspirin sei in den Verdacht geraten, den krankheitsauslösenden Giftstoff unter die Menschen der Feindstaaten zu verbreiten.
Die Opladener Zeitung vermeldete am 19. Oktober 1918 aus dem Verbreitungsgebiet der AOK von "bisher 5 bis 600 Krankmeldungen wöchentlich." Diese seien ab dem 6. Oktober auf 720 gestiegen. Die Bergische Arbeiterstimme wiederum berichtete aus dem Kreis Solingen, dass die Schulen in der Region geschlossen wurden. Und Geistliche erhielten die Anweisung, den Aberglauben zu vertreiben, der sich mit der Grippe eingestellt hatte. Und auch das angebliche Allheilmittel Alkohol sei bei der Krankheit unangebracht.