Rückblick: Eine Spurensuche nach historischen Schätzen im „Tillmanns Loch“
Im Rahmen der Reihe „Standortentwicklung und Denkmalpflege“ welche der OGV in Kooperation mit der VHS Leverkusen und der Unteren Denkmalbehörde Leverkusen durchführt, fand am 08. Mai 2021 der „Rundgang Neucronenberg“ statt.
Auf die Spuren der Entwicklung eines der ältesten Unternehmens auf (heutigem) Leverkusener Boden begaben sich Michael Gutbier, 1. Vorsitzender des OGV und Gregor Schier, Architekt und Denkmalschützer, begleitet von Jörn Wenge an der Kamera und von Edgar Fritz der die Übertragungstechnik betreute, damit diese Exkursion CORONA-Konform über ZOOM und Facebook übertragen und allen Interessierten präsentiert werden konnte.
Der Rundgang begann am sog. „Schraubendenkmal“, der den ehemaligen Standort der Fabrikgebäude dokumentiert, führte durch Waldwege zu den Überresten einer Eisenbahnrampe, danach durch einen Park im englischen Stil in die Villa Hugo Tillmanns um am Eingang der gegenüber liegenden Villa Rudolf Tillmanns zu enden.
Der Nagel-Schmiedemeister Johannes Isaak Tillmanns stellte 1858 (etwa zehn Jahre bevor sich Carl Leverkus in Wiesdorf ansiedelte) einen Antrag auf Baugenehmigung für eine neue Fabrik bei der Gemeinde Lützenkirchen. Sein Unternehmen, seit 1826 in Cronenberg (heute ein Stadtteil Wuppertals) ansässig, brauchte einen neuen Standort um expandieren zu können. Die von ihm produzierten Schrauben und Nägel wurden u. a. durch die damals rasante Entwicklung der Eisenbahntrassen zu sehr gefragten Produkten. 1859 begann der Bau auf einem Lützenkirchener Brachland, das nun den Namen „Neu Cronenberg“ trug.
Am Ufer des Wiembachs gelegen und zunächst nur mit oberschlägigem Wasserrad betrieben, wurde im Jahr 1870 in der Fabrik eine Dampfmaschine mit 50(!) PS eingesetzt. Es wurden zu der Zeit Holzschrauben, Nägel, Nieten, Bolzen, Stiefeleisen und etliche andere Metall-Kleinteile produziert. Um der großen Produktnachfrage nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges nachzukommen, wurden 1871 die Fabrikgebäude erweitert und ein ca. 2 ha großer Stauweiher zur Regulierung des Wasserpegels angelegt. Im Jahr 1881 bekam die Firma einen eigenen Gleisanschluss an die Bahnlinie Opladen-Wermelskirchen („Balkantrasse“), im Jahr 1914 sogar einen zusätzlichen Abzweig der Kleinbahn (Straßenbahn) die zwischen dem Bahnhof Opladen und Lützenkirchen verkehrte und sowohl Personen beförderte als auch Güter transportierte. Ein Relikt aus dieser Zeit welches heute noch vorhanden ist, ist die bereits erwähnte Rampe die einst zu einer Brücke über den Wiembach gehörte. Die Schraubenfabrik Tillmanns exportierte ihre Produkte in 27 Länder, vor allem in die Balkanstaaten und nach Russland. Die enorme Entwicklung belegen sehr deutlich folgende Zahlen: wurden im Jahre 1826 in Cronenberg lediglich 25 Arbeiter beschäftigt, stieg die Zahl der Angestellten in Lützenkirchen von 120 Personen im Jahr 1862 auf 250 im Jahr 1872 bis auf 600 Mitarbeiter im Jahr 1914.
Alte Zeichnungen, Pläne, Flurkarten und Fotos aus dem Fundus des Stadtarchivs und der Unteren Denkmalbehörde, die Gregor Schier präsentierte, belegen diese Entwicklung anschaulich. Darauf konnte man auch sehr gut die aus Fachwerk und Giebeln aus Ziegelsteinen bestehende Architektur der Fabrikgebäude erkennen. Daneben auch ein ehemaliges Schulgebäude das zum Lützenkirchener „Stammhaus“ der Familie Tillmanns wurde. Abwechselnd haben Michael Gutbier und Gregor Schier die weitere Entwicklung der Firma und die Nutzung ihrer Gebäude vorgestellt, deren Niedergang Ende der 1920-Jahre während der Weltwirtschaftskrise begann und die endgültige Schließung des Werks 1931 zu Folge hatte.mIn den 1930-Jahren wurden die bestehenden Gebäude in eine Mineralöl-Raffinerie umgewandelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg (1946) zog zunächst ein Schrottgroßhandel dort ein, um 1966 einer Stahlfenster und -Türen produzierenden Firma zu weichen. Nach einem Großbrand im Jahre 1987 blieben von den Fabrikhallen nur noch Ruinen übrig, die noch weitere zwanzig Jahre bis zum endgültigen Abriss „wegen Gefahr für Leib und Leben“ ein trauriges Dasein fristeten. Seit ca. 2009 erobert sich die Natur dieses Areal wieder zurück, so dass im vorbeigehen oder vorbeifahren (fast) keine Spuren dieses ehemals so wichtigen Industriestandorts mehr zu erkennen sind. Nur das anfangs erwähnte „Schraubendenkmal“ - eine Bronzestatue des Künstlers Kurt Arentz in Form einer Riesen-Holzschraube und die Tafeln mit historischen Daten auf deren Sockel - erinnern noch an den Standort.
Was allerdings aus der Blütezeit der Firma erhalten geblieben ist, sind zwei denkmalgeschützte repräsentative Wohnhäuser der dritten Generation der Familie Tillmanns: die Villa von Hugo Tillmanns (1867 – 1950) auf der Lützenkirchener Seite des Wiembachs gelegen und gegenüber – auf der Bergisch Neukirchener Seite - die Villa seines Bruders Rudolf Tillmanns (1863 – 1934).
Hugo Tillmanns, der bis zum Ende (1931) mit der Firma verbunden war, lies diese Villa 1898 im Neorenaissance-Stil erbauen und 1906 erweitern. Die Fassade ist mit typischen Merkmalen für diesen Stil geschmückt und auch das Innere ist mit Stuckdecken, Stuckdekorationen der Fensternischen, dunklen Rahmungen der Türen und Fenster sowie breiten Treppenaufgängen ausgestattet. Obwohl die beiden Besucher und der Kameramann nur Zutritt in die Eingangshalle hatten, konnte man doch die einstige Schönheit und Gediegenheit des Hauses erahnen. Zudem wurden Fotos mit ehemaliger Ausstattung und Dekorationen gezeigt. Vor dem Haus ist an historischer Stelle noch die sog. Vorfahrt erhalten, ehemals für Kutschen und Automobile angelegt. Auf der Hanglage rund um diese schöne Villa befindet sich ein Englischer Landschaftsgarten in dem etliche Bäume noch aus der Entstehungszeit stammen und der ebenfalls unter Denkmalschutz steht. Für so einem Landschaftsgarten sind vor allem Solitärbäume, die als Blickfang in einer lockeren Anordnung in Rasenflächen gepflanzt wurden, typisch. In mehreren Kamera-Schwenks wurde für die Zuschauer die Weitläufigkeit des Geländes sichtbar. An dessen Rand sieht man heute noch ein historisches Fachwerkhaus in dem ehemals Vorarbeiter der Firma wohnten – in unmittelbarer Nähe zur Fabrik und zu der „Chefetage“.
Ein kleiner Spaziergang zurück zum anderen Ufer des Wiembachs führte nun zur zweiten denkmalgeschützten Villa. Diese wurde 1895 erbaut und diente der Familie Rudolf Tillmanns, die eigentlich in Köln ansässig war, lediglich als Sommerwohnsitz. Rudolf ist 1912 aus der Firma ausgeschieden und machte sich danach als Ziegelfabrikant selbstständig. Das Haus, ebenfalls im Neorenaissance-Stil als Würfelbau errichtet, besitzt einen repräsentativen Treppenaufgang mit einem steinernen Relief (Medaillon) sowie einer Säulenpergola. Braune Fenster- und Türumrahmungen sind ebenfalls typisch für die Zeit. Dazu gehört wiederum ein Landschaftsgarten mit einigen exotischen Pflanzen wie Palmen und Bananenstauden darin. Leider ist zur Zeit ein Zugang zum Gelände nicht möglich, deshalb wurden den Zuschauern - von der Treppe aus - nur Fotos aus der Blütezeit des Hauses präsentiert.
Als Abschluss dieser virtuellen Exkursion gaben Michael Gutbier und Gregor Schier den zugeschalteten Teilnehmern noch folgenden Gedanken mit auf den Weg: Geschichte kann man nicht nur anhand von schriftlichen Dokumenten, Fotos und sonstigen Archivalien kennenlernen sondern auch durch persönliche „in-Augenschein-nahme“ bei Spaziergängen oder Wanderungen entdecken. Nützlich bei der Spurensuche ist der „Heimatbezug“ zu den Namen der ehemaligen Gründer, Erbauer oder vormaligen Besitzer, die sehr oft im Volksmund (z. B. „Tillmanns Loch“) sowie in den Straßennamen und Flurbezeichnungen in den Gemeinden weiterleben.
Der nächste virtuelle Rundgang „CHEMPARK Leverkusen“ findet am 05. Juni 2021 statt.