Vor 67 Jahren: Volksaufstand in der DDR - seine Auswirkungen auf Leverkusen
Der 17. Juni 1953 war der erste Massenprotest im Osten nach 1945. Rund eine Millionen Menschen gingen in der gesamten DDR in über 700 Orten auf die Straße. Sie demonstrierten gegen die SED-Führung und forderten Demokratie, Freiheit, bessere Lebensbedingungen und die deutsche Einheit. Warum aber gingen die Menschen damals auf die Straße?
Auf der II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 verkündete Walter Ulbricht den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“. Konkret bedeutete dies, die Förderung der Schwerindustrie und die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft. Bauernhöfe wurden beschlagnahmt und ganze Betriebe kollektiviert. Als Folge dessen kam es zu einem Rückgang der industriellen Produktion, einer Ernährungskrise und zu einer Senkung des Lebensstandards. Unübersehbar befand sich die DDR in einer tiefen Krise. Obwohl die sowjetischen Machthaber sie vorher zu einem „Neuen Kurs“, der Rücknahme von diversen restriktiven Maßnahmen und einem Schuldeingeständnis für gesellschaftliche Unruhen zwangen, erhöhte das Politbüro der SED, trotz allem, Ende Mai 1953 die Arbeitsnormen (die für den Lohn zu erbringende Arbeitsleistung) um 10,3%, was faktisch eine Lohnkürzung war.
Die ersten Arbeiter legten am 15. Und 16. Juni in Berlin ihre Arbeit nieder, protestierten und riefen für den 17. Juni zu einem Generalstreik auf. Am 17. Juni begann der Streik um 6 Uhr morgens und mobilisierte nach und nach immer mehr Menschen. Vor allem durch die Berichterstattung der Westsender, schlossen sich immer mehr Menschen in der DDR dem Streik an, der sich bald zu einem Aufstand entwickeln sollte. Dem DDR-Rundfunk wurde jegliche Form der Berichterstattung durch die SED untersagt. Überfordert von der Situation endeten die Versuche der Sicherheitskräfte die Demonstrationen aufzulösen in Gewalt. Aus einem anfangs friedlichen Protest wurde ein handfester Volksaufstand, der nur mit Hilfe sowjetischer Panzer niedergeschlagen werden konnte. 55 Tote forderte der Aufstand und mehr als 10.000 Personen wurden festgenommen.
Der Bundestag erklärte daraufhin per Gesetz im August 1953 den Aufstand vom 17. Juni zum „Tag der Deutschen Einheit“ und zum gesetzlichen Feiertag. Bundeskanzler Adenauer verkündete in einer Regierungserklärung, als Voraussetzung der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands die Abhaltung freier Wahlen. Allerdings stellte er dafür Vorbedingungen, wie zum Beispiel die Öffnung aller Zonenübergänge und die Schaffung demokratischer Rechtsformen zum Schutz der Menschen gegen Willkür und Terror. Die SED bezeichnete den 17. Juni 1953 in der Folgezeit als „faschistische Provokation“ der Westmächte.
Sehr wohl ahnend, dass diese Vorbedingungen nicht erfüllt werden würden, trieb Adenauer die Westbindung der BRD voran. Dass die Wiedervereinigung in weite Ferne rücken würde, war spätestens nach der Berliner Außenministerkonferenz 1954 deutlich.
Enttäuscht über das Scheitern der Berliner Konferenz und als Reaktion auf Adenauers Politik der Westbindung vor Wiedervereinigung wurde am 14. Juni 1954 in Bad Neuenahr das Kuratorium Unteilbares Deutschland (KUD) gegründet.
Es war das erste überparteiliche Bündnis in der BRD, in dem nicht nur das bürgerliche Lager, sondern auch erstmalig Sozialdemokraten vertreten waren. Ziel war es, die Bevölkerung für die Wiedervereinigung zu bewegen und die USA in diesem Sinne positiv zu beeinflussen. Die Ostpolitik Willy Brandts wurde durch Schriften einzelner Kuratoriumsmitglieder inspiriert.
Auf Bundes-, Landes- und lokaler Ebene dominierten Vertreter des KUD die Organisation des Tags der Deutschen Einheit. So veranstalteten die lokalen Vertreter des Kuratoriums beispielsweise Feiern zum Tag der Deutschen Einheit und erinnerten in Aufrufen an den Aufstand des 17. Juni 1953, wie Sie es beispielhaft im Bild aus dem Opladener Veranstaltungskalender vom Juni 1963 sehen können.
Das Kuratorium verlor mit der Zeit immer mehr an Bedeutung, insbesondere durch die Einstellung der öffentlichkeitswirksamen Aktionen ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre und als sich der Fokus ihrer Aktivitäten auf wissenschaftliche Forschung und politische Bildung verlagerte. 1992 löste es sich nach der Wiedervereinigung auf.
Zwar war Leverkusen nicht unmittelbar vom 17. Juni 1953 betroffen, aber mittel- und langfristig sorgte der Aufstand für einen Zuwachs der Bevölkerung im Westen. Der Umgang der DDR mit den Ereignissen am 17. Juni 1953 hatte die erste größere Welle sogenannter „Zonenflucht“ zur Folge. So floh beispielsweise die Familie von Dieter und Johannes Gutbier in den Westen. Johannes Gutbier feierte mit Kollegen am 17. Juni 1954 in einer Spinnerei bei Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) den Tag der Deutschen Einheit, wurde denunziert und einbestellt, seine Kollegen zu verraten. Stattdessen stieg er in den Zug nach Ost-Berlin und von dort mit der S-Bahn in die Westsektoren, von wo er nach Niedersachsen ausgeflogen wurde. Im darauffolgenden Jahr organisierte die Familie Gutbier ihre Flucht in den Westen. Letztendlich zog die Arbeit sie nach Leverkusen. Seitdem lebt die Familie in und um Leverkusen. Wenn Sie mehr über die Flucht von Dieter Gutbier erfahren wollen, können Sie die Geschichte im OGV-Kurier 93/2018 nachlesen.
Wie erinnern Sie sich an den 17. Juni 1953? War er für Ihre Familie möglicherweise ein „Badetag“ oder ein Anlass zur Flucht?